Pro und Contra: Ist Regio das neue Bio?

Die Deutschen legen immer mehr Wert auf Lebensmittel aus der Umgebung. Zu Recht, wollten wir vom Vorsitzenden des Bundesverbands der Regionalbewegung und vom Bioland-Präsident wissen? Hier ihre Antworten
Text: Heiner Sindel / Jan Plagge | Fotos: Portrait Heiner Sindel: Simon Malik/Bundesverband der Regionalbewegung e.V. | Portrait Jan Plagge: Bioland | pexels

 

Pro: Heiner Sindel

Foto: Simon Malik/Bundesverband der Regionalbewegung e.V

 

 

Heiner Sindel ist der 1. Vorsitzende des Bundesverbandes der Regionalbewegung e. V., der im März 2005 gegründet wurde und sich als Dachverband und Interessensvertretung für die vielfältigen Akteure regionalen Wirtschaftens versteht.

Regional punktet

Die Menschen befassen sich heute mehr mit ihrer Lebensmittelauswahl als je zuvor. Nicht nur der Mehrwert für die eigene Gesundheit spielt dabei eine wichtige Rolle, zunehmend rücken auch Aspekte wie Nachhaltigkeit, Klimaschutz und faire Bedingungen – angefangen vom Rohstofflieferanten bis hin zum Verarbeiter – in den Fokus. Regionale Produkte können bei allen diesen Aspekten punkten. Nicht umsonst legen die Verbraucher*innen deshalb heute oft mehr Wert auf regionale als auf biologisch erzeugte Produkte im Einkaufswagen. Der Slogan „Wissen, wo’s herkommt“ trifft den Zeitgeist. Diesem Trend zum Trotz stellen regionale Produkte im Gesamtumsatz der Lebensmittelwirtschaft immer noch eine Nische dar. Das war noch vor 50 Jahren anders. Bauern aus dem Umland belieferten Siedlungen und Städte über das Lebensmittelhandwerk und die Wochenmärkte. Ein dichtes Netz von Schlachtstätten, Mühlen, Brauereien und Molkereien sicherte die Nahversorgung der Bevölkerung. Lebensmittel aus globalem Handel waren dagegen die Ausnahme und spielten im Alltag der Menschen eine geringe Rolle. Inzwischen ist es umgekehrt: Viele bäuerliche Landwirtschafts- und kleine Herstellerbetriebe mussten industriellen Großunternehmen weichen. Die Ernährungswirtschaft versorgt via Autobahnen, Luft- und Seewegen die Mehrheit der Menschen. Von Klimaneutralität kann keine Rede mehr sein.

Regionalität wird wichtiger

Doch angesichts der weltweiten Klima- und Umweltprobleme gewinnt die Regionalität nun wieder an Bedeutung. Denn kurze Wege sparen Energie und entlasten die Straßen. Und die bäuerliche Landwirtschaft kann durch vielfältige Fruchtfolge und kleinere Feldeinheiten die Artenvielfalt besser sichern als industrielle Landwirtschaft. Die wachsende Nachfrage nach regionalen Produkten hat jedoch auch viele Trittbrettfahrer angelockt. Die derzeit geltenden gesetzlichen Regelungen und Kennzeichnungen zur Regionalität machen es ihnen leicht, Mogelpackungen auf den Markt zu bringen. Die Glaubwürdigkeit von regionalen Produkten wird deshalb zu Recht immer wieder diskutiert.

RegioApp schafft Abhilfe

Abhilfe schafft hier nun die RegioApp, ein von der Regionalbewegung entwickeltes Marketing-Instrument. Mit dieser kostenlosen Anwendung können Verbraucher*innen mit einem Klick tatsächlich aus der Region kommende Produkte sowie die Verkaufsstellen und Gastronomiebetriebe in der Umgebung ausfindig machen. Was sich lohnt. Denn die Regionalinitiativen stellen hohe Ansprüche an sich. So müssen nicht nur die Rohstoffe aus der Region kommen, sondern auch die Verarbeitung und Vermarktung muss in der Region stattfinden. Zudem spielen auch der Einsatz heimischer Futtermittel ohne Gentechnik, faire Preise für Erzeuger wie für Verarbeiter und eine möglichst hohe Wertschöpfung für die Region wichtige Rollen. Alle diese Kriterien sind übrigens gar nicht weit von denen der Bio-Anbauverbände entfernt. Es sollte deshalb das gemeinsame Ziel sein, mehr als bisher miteinander zu arbeiten. Denn nur in einer engen Allianz können regionale Vermarkter und Bio-Händler auf dem hart umkämpften Lebensmittelmarkt ein ausreichendes Gegengewicht gegenüber der globalen Lebensmittelindustrie schaffen. Dazu braucht es zum einen mehr Regionalität auf dem Bio-Markt und zum anderen mehr Flexibilität bei den Bio-Anbauverbänden, um regionalen Produkten den Zugang zum Bio-Fachhandel zu ermöglichen. Zusammen ist ein Sieg gegen Goliath, den Lebensmittelriesen und Discountermärkten, möglich. Was auch in puncto Klima- und Umweltschutz ein großer Fortschritt wäre.

Contra: Jan Plagge

Foto: Bioland

 

Jan Plagge ist Präsident von Bioland, dem führenden Verband für ökologischen Landbau in Deutschland. Über 7700 Landwirte, Gärtner, Imker und Winzer wirtschaften nach den Bioland-Richtlinien.

Industralisierung der Landwirtschaft

Mit der Industrialisierung der Landwirtschaft nach dem zweiten Weltkrieg wurden die Probleme gesät, die heute zu Recht in der Kritik stehen: Artensterben, Grundwasserbelastung mit Nitrat und Pestiziden und das Höfesterben und damit das Ausbluten ländlicher Räume. Erfolgreich auf dem Markt war, was viel und billig produziert werden konnte – ohne Rücksicht auf die Umwelt und die gesellschaftliche Akzeptanz. Doch etliche Landwirte haben sich dieser Entwicklung widersetzt und eine Alternative entwickelt: die biologische Landwirtschaft. Seit fast 50 Jahren haben wir es uns als Bioland zum Ziel gesetzt, der industriellen Landwirtschaft eine Landwirtschaft im Einklang mit der Natur entgegenzusetzen, die Artenvielfalt zu fördern sowie aktiven Klima- und Umweltschutz zu betreiben. Denn für eine zukunftsfähige Erde ist es wichtig, die Grenzen zu respektieren und achtsam mit unseren Lebensgrundlagen umzugehen. Allerdings sind wir gerade dabei, diese zu zerstören. Um das Ruder noch herumzureißen, bleibt nicht mehr viel Zeit.

Produktionsweise ist wichtig

Wer regional einkauft und nicht auf die Produktionsweise schaut, wird dem Anspruch eines aktiven Klima- und Umweltschutzes jedoch nicht gerecht. Das Wertvollste, was die Landwirtschaft besitzt, ist ihr Boden. Dessen sind sich Biobauern bewusst. Wer sich für ökologischen Landbau entscheidet, sagt daher Nein zu einer Überdüngung der Böden mit Gülle, zu chemisch-synthetischen Düngern und Pestiziden sowie Gentechnik und industrieller Tierhaltung, um den Kreislauf von Boden, Pflanze, Tier und Mensch nicht zu beeinträchtigen. Obendrein muss die Landwirtschaft widerstandsfähiger gegenüber Klimaeinwirkungen werden, zugleich aber auch darauf achten, selbst weniger CO2-Emissionen zu verursachen. Der ökologische Landbau hat dafür zahlreiche Mittel zur Hand. Dazu gehört unter anderem, die Zahl der Tiere an die Fläche anzupassen und auf vielfältige Fruchtfolgen auf dem Acker zu achten, um die Fruchtbarkeit der Böden zu erhalten. Für die Rückbindung von CO2 in den Böden wird über den Humusaufbau gesorgt. Alle diese Maßnahmen haben den positiven Nebeneffekt, dass die Böden aufnahmefähiger für Wasser sind und es auch effektiver speichern können. So sind die Pflanzen länger versorgt und die Erosionsgefahr wird deutlich reduziert.

Bio und regional gehören zusammen

Befürworter von regionalen Waren stützen sich gern auf die CO2-Bilanz der Transportwege. Häufig werden hier Bio-Äpfel aus Chile mit Bodensee-Äpfeln verglichen. Doch der Vergleich hinkt. Ist Saisonware aus dem Süden Europas oder aus fernen Ländern auf dem Markt, so ist vergleichbare Ware in der Regel auch regional nicht erhältlich. Eine Entscheidung für eine bei uns nicht verfügbare Bio-Frucht aus fernen Herkunftsländern ist dann immer noch die bessere Wahl. Gutes Beispiel dafür sind die bio+fair Bananen. Am nachhaltigsten ist es auf jeden Fall, saisonale Bio-Lebensmittel aus der Region einzukaufen. Wir als Bioland stehen für heimische, hochwertige Bio-Ware, bei der die Verbraucher die Garantie haben, dass sie ausschließlich in Deutschland und Südtirol erzeugt wird. Wer Genaueres über Herkunft und Herstellung erfahren möchte, kauft am besten direkt beim Erzeuger ein. Im Hofladen, auf dem Wochenmarkt oder beim Bauern vor Ort kann sich jeder über die Produktionsbedingungen, die Tierhaltung und auch den Umgang mit Beschäftigten informieren. Es muss allen bewusst sein: Regional allein sichert unsere Lebensgrundlagen nicht. Bio und regional gehören zusammen. Nur in der Kombination verbinden wir die Vorteile ökologischer Herstellung und regionaler Wertschöpfung. Umso wichtiger ist es deshalb, dass der Biolandbau aus der Nische kommt, weil sich dadurch die Chance erhöht, dass mehrheitlich Verantwortung für Umwelt-, Klima- und Tierschutz übernommen wird – in unserer Heimat und überall, wo Menschen heimisch sind.

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