Lebensmittel fermentieren

Fermentiertes ist supergesund und schmeckt unvergleichlich. Kein Wunder also, dass diese jahrtausendealte Gärmethode seit einiger Zeit wieder im Fokus steht – mit klassischem Sauerkraut genauso wie mit neuen, spannenden Rezeptideen.
Text: Annette Sabersky | Fotos: shutterstock: casanisa

Die Bakterien sind los, überall blubbert und gärt es. In Workshops des Leipziger Zentrums für Fermentation lernen Interessierte, wie man Sauerkraut und Kimchi, Chilisoße und Ketchup, Kombucha und sprudelige Limos macht. Auf YouTube geben unzählige Videos tiefe Einblicke in die Kunst des Fermentierens, ebenso zahlreiche Titel im Buchhandel.

Lebensmittel fermentieren: Alte Methode neu entdeckt

Schon 2016 hatte die Ernährungsforscherin Hanni Rützler das Fermentieren (lateinisch fermentum = Gärung) als einen der großen Food-Trends ausgemacht – vor allem im Do-it-yourself-Bereich. Wirklich neu ist dieser Trend jedoch nicht. Denn bereits seit Jahrtausenden nutzen Menschen die Gärmethode, um Lebensmittel haltbar, schmackhaft und bekömmlich zu machen. Sei es Gemüse, Obst, Getreide, Hülsenfrüchte, Fleisch, Fisch oder Milch. Neu ist aber, dass Fermentiertes eine kulinarische Aufwertung erfährt. So werden nun auch Gemüsesorten wie Tomaten, Rote Bete, Zucchini und Bohnen vergoren. Und Kombucha, das traditionelle fermentierte Tee-Getränk, kommt jetzt nicht mehr nur pur, sondern mit Fruchtsäften und Gewürzen in die Flasche. Selbst Sauerkraut wird neu angesetzt – mit Knoblauch, Zitrone oder Zimt. Aber warum genau sind denn Fermente so gesund? Wie stellt man fermentierte Lebensmittel selbst her? Und wie viel soll und kann man davon essen?

Vorteil 1: Großes Spektrum an Aromen

Ob Essig, Sauerkraut, Joghurt, Kefir, Sauerteigbrot, Salami, Käse, Sojasauce, Tempeh, Miso, Wein, Bier – etwa ein Drittel der heute verzehrten Lebensmittel ist fermentiert, schätzt die Senatskommission zur gesundheitlichen Bewertung von Lebensmitteln. Unentbehrliche Helfer bei der Gärmethode sind Bakterien, Hefen und Schimmelpilze. Sie werden entweder dem Gärgut zugesetzt – wie bei der Joghurtherstellung – oder kommen aus der Umwelt, sitzen also auf und im Gemüse oder gelangen wie beim Sauerteig auch aus der Luft in den Teigansatz. Schon geringe Mengen an Mikroorganismen reichen, um den Fermentationsprozess zu starten. Binnen Tagen und Wochen verändert sich das gärende Lebensmittel dann zunehmend zu etwas Neuem. So wird aus Mehl und Wasser Sauerteig, aus Milch Jogurt und Käse, aus Weißkohl Sauerkraut und aus Trauben Wein.

Doch nicht nur Farbe und Struktur der pflanzlichen und tierischen Rohstoffe ändern sich beim Fermentieren, es entstehen auch ganz neue, spannende Aromen, was ebenfalls das Werk der Mikroorganismen ist. Denn sie bauen Zucker in Säuren und Alkohol um, spalten geschmacksneutrale Eiweiße in umamireiche Eiweißbausteine, zerlegen Fette in Fettsäuren und Stärke in Zucker. „Fermentierte Lebensmittel weisen ein Geschmacks- und Aromaspektrum auf, das sich durch kaum eine andere Kochtechnik erreichen lässt“, erklärt der Physiker und Fermentationsforscher Thomas Vilgis vom Institut für Polymerforschung am Max-Planck-Institut in Mainz.

Vorteil 2: Bessere Bekömmlichkeit

Längere Haltbarkeit und unvergleichlicher Geschmack sind aber nicht die einzigen Gründe, die fürs Lebensmittel fermentieren sprechen. Viele Lebensmittel werden dadurch auch bekömmlicher. So vertragen Menschen, die auf Laktose mit Verdauungs- und Kreislaufbeschwerden reagieren, Milch gar nicht, Joghurt und einige Käsesorten dagegen oft schon. Während der Gärung wird der Milchzucker nämlich von den zugesetzten Milchsäurebakterien abgebaut. Im Joghurt zu rund 30 Prozent, bei lang gereiftem Käse sogar bis zu 100 Prozent.

„Gut Ding will Weile haben“ – das gilt auch sonst oft beim Fermentieren. Etwa bei der Herstellung von Teig. Dr. Friedrich Longin, Weizenforscher an der Universität Hohenheim, hat herausgefunden, dass in einem Weizen-Brotteig, der mindestens viereinhalb Stunden geht, mehr als 90 Prozent (!) der sogenannten FODMAP (fermentierbare Oligo-, Di-, Monosaccharide und Polyole) eliminiert werden. Gut für alle, bei denen diese Ein-, Zwei- und Mehrfachzucker sowie Zuckeralkohole Blähungen, Verstopfung, Durchfall und Übelkeit verursachen. Auch wer Gluten nur in kleinen Mengen verträgt, kann von gut fermentiertem Brot profitieren. Beim Gehen des Teigs wird das Klebereiweiß nämlich ebenfalls teilweise abgebaut. Für Menschen, die an Zöliakie leiden, ist das allerdings nicht ausreichend, sie müssen komplett auf glutenhaltige Lebensmittel verzichten.

Ab- oder umgebaut und damit bekömmlicher gemacht werden aber noch viel mehr unterschiedliche Inhaltsstoffe während der Fermentation, zum Beispiel in Hülsenfrüchten, Senf und Kohl, Kartoffeln oder Vollkorngetreide. Schon das Einweichen von Getreide oder Flocken für Müsli und Porridge über Nacht bewirkt, dass 20 Prozent des Phytats von den Mikroorganismen gespalten und damit unwirksam gemacht werden.

Sogar den Gehalt an Schadstoffen mindern kann der Gärprozess. So enthielt in einer polnischen Studie fermentiertes Weißkraut rund 55 Prozent weniger Nitrat und 77 Prozent weniger Nitrit, im Rotkohl waren es sogar 85 bzw. 67 Prozent. Einen Teil des eliminierten Nitrats fanden die Forscher allerdings in der Krautflüssigkeit wieder. Diese deshalb besser weggießen.

Gemüse fermentieren

So gelingt es ganz leicht

 

Fermentieren lassen sich viele Gemüsesorten: z. B. Weiß- und Rotkohl, Chinakohl, Rote Bete, Karotten, Gurken, Rettich, Tomaten und Zucchini. Feste Sorten werden geraspelt, weiche wie Tomaten und Zucchini nur grob zerkleinert.

Für die Salzzugabe gilt als Faustregel: 1,5 bis 2 Gramm pro 100 Gramm Gemüse. Bei 500 Gramm Gemüse sind das 1,5 bis 2 Teelöffel Salz. Es klappt zwar auch mit weniger Salz, das Gemüse ist dann aber nicht mehr monatelang, sondern nur einige Wochen haltbar.

Eine Salzlake kann, muss aber nicht hergestellt werden. Zum Ansetzen der Lake wird mengenmäßig etwa doppelt so viel Wasser genommen ,wie Gemüse ins Glas kommt. Darin dann pro 100 Milliliter ca. 2 Gramm (= 0,5 gestrichener TL) Salz auflösen.

Bei der Wahl der Glasgröße ist wichtig, dass das Gärgut komplett mit Flüssigkeit bedeckt werden kann. Denn die Bakterien arbeiten anaerob, also ohne Sauerstoff. Gläser mit Bügel- oder Schraubverschluss ab Beginn der Bläschenbildung täglich kurz öffnen, damit das Gas entweichen kann. Wer kein gut verschließbares Glas zur Hand hat, kann das Gemüse in ein Einmachglas drücken, mit Lake bedecken und dann mit einem kleineren, mit Wasser gefüllten Glas beschweren. Das Einmachglas mit einem Tuch abdecken, um Insekten abzuhalten. Im Handel gibt es auch Glasgewichte oder Steine zum Beschweren.

Besonders komfortabel ist eine sogenannte Pickle Press. Im Deckel des Behälters ist nämlich eine Feder oder eine verstellbare Kunststoffschraube eingebaut, an der am anderen Ende eine Platte mit kleinen Löchern befestigt ist. Wird das Glas mit dem Deckel verschlossen, drückt die Platte das Gemüse fest nach unten. Die dabei ausgepresste Flüssigkeit kann durch die Löcher nach oben treten und bedeckt so das Gemüse luftdicht. Ist zu wenig Flüssigkeit vorhanden, dann einfach mit Leitungswasser oder Salzlake entsprechend aufgießen.

Aufbewahrt wird Fermentiertes am besten im Kühlschrank oder in einem kühlen Keller. Es sollte immer mit etwas Flüssigkeit bedeckt sein.

Vorteil 3: Bildung gesunder Substanzen

Zugleich werden beim Fermentieren auch etliche gesundheitsfördernde Substanzen gebildet. Allen voran die Milchsäure. Ihre Wirkung ist ausgesprochen vielfältig. Sie kann zum einen im Darm krank machende Keime eliminieren und deren Vermehrung stoppen. Zum anderen dient die L(+)- Milchsäure, die man aus Joghurt und anderen fermentierten Milchprodukten kennt, der Energiegewinnung in den Muskeln, der Leber und den roten Blutkörperchen. Zudem ist sie Baustein von Zuckern, Fettsäuren und Steroiden, den Bestandteilen der Zellmembranen, außerdem von Vitaminen und Sexualhormonen. Nicht zuletzt fördert die L(+)-Milchsäure auch die Darmbewegung und sorgt so für die Reinigung der Darmzotten, jenen dünnen Ausstülpungen, über die die Nährstoffe ins Blut aufgenommen werden.

Doch nicht nur die Milchsäure trägt zur Darmgesundheit bei. Auch die zu ihrer Bildung nötigen Milchsäurebakterien tun das. Die gelangen beim Verzehr von fermentierten Produkten nämlich mit in den Darm und sorgen dort für ein tendenziell saures Mikroklima, in dem sich andere „gute“ Bakterien sehr wohlfühlen und sich deshalb vermehrt ansiedeln. Was zur Folge hat, dass sich weniger Krankheitserreger an der Darmschleimhaut festsetzen können. Diese positive Wirkung der Milchsäurebakterien macht man sich seit langem in der Medizin zunutze. Etwa um die geschädigte Darm-Mikrobiota nach einer Antibiotikabehandlung wieder aufzubauen. Wird mit Milchsäurebakterien versetzte Milch schon begleitend zu einer Antibiotikatherapie getrunken, kann das zudem die Häufigkeit von Durchfällen signifikant verringern.

Das haben Studien der Bundesanstalt für Milchforschung in Kiel gezeigt. Auch un- abhängig von einer Antibiotikabehandlung helfe die Aufnahme fermentierter Milch- produkte wie Joghurt und Ke r, um unspe- zi sche Darmbeschwerden zu lindern, so die Kieler Forscher.

Obendrein wirkt sich der Verzehr fermentierter Milchprodukte auch auf den Cholesterinspiegel günstig aus. Schon Anfang der 1970er-Jahre hatten Wissenschaftler entdeckt, dass das Blut der Massai – einer in Kenia lebenden ethnischen Gruppe – besonders niedrige Cholesterinwerte aufweist, und einen Zusammenhang mit ihrem hohen Konsum an fermentierten Milchprodukten (täglich mehrere Liter) vermutet. Diese Vermutung wurde in späteren Studien bestätigt und konkretisiert: Es stellte sich heraus, dass so große Mengen von fermentierten Milchprodukten gar nicht nötig sind, um einen positiven Effekt auf den Cholesterinspiegel zu erzielen. Schon der tägliche Verzehr über vier Wochen von 125 Gramm frischem Joghurt, der mit dem Bakterium Lactobacillus reuterie CRL 1098 versetzt ist, senkt das Gesamt-Cholesterin sowie das „schlechte“ LDL Cholesterin signifikant. Erklärt wird die Wirkung mit der Fähigkeit bestimmter Milchsäurebakterien, Cholesterin zu binden bzw. sogar abzubauen.

Kefir wird zudem noch eine Wirkung gegen Allergien nachgesagt. Die Behauptung leitet sich unter anderem aus der Erkenntnis ab, dass die Menschen im Kaukasus und in Tibet, wo traditionell viele milchsaure Produkte konsumiert werden, sehr lang leben und seltener von Allergien betroffen sind. Eine finnische Studie belegt, dass dieser Schutzeffekt schon in der Schwangerschaft mithilfe von Bakterienpräparaten aufgebaut werden kann. Erhalten werdende Mütter zwei beziehungsweise vier Wochen vor der Geburt ihres Kindes und bis zu sechs Wochen danach ein Präparat mit Lactobacillus rhamnosus Goldin Gerlach, kurz LGG, erkrankt der Nachwuchs im Alter von zwei bis vier Jahren nur halb so oft an Neurodermitis wie Babys, deren Mütter ein Placebo erhalten haben. Erklärt wird dies damit, dass die von den Bakterien im Darm gebildete Milchsäure die Ausschüttung von Antikörpern fördert. Und die wiederum können mit der Nahrung aufgenommene Allergene binden. Ob dies alles auch normaler Naturjoghurt oder probiotische Milchprodukte bewirken können, muss noch geklärt werden.

Vorteil 4: Macht schlank

In letzter Zeit mehren sich auch die Hinweise, dass ein gesundes Darmleben das Körpergewicht im Lot hält. So fanden Wissenschaftler im Stuhl von schlanken, normalgewichtigen Menschen einen höheren Anteil an Bifidobakterien und anderen Milchsäurebakterien. Darunter den Lactobacillus plantari, einen Keim, der auch
mit fermentiertem Gemüse verzehrt wird. Vorausgesetzt, das Ferment wurde nicht erhitzt, wie das zum Beispiel bei pasteurisiertem Sauerkraut der Fall ist. Temperaturen über 60 Grad machen den Milchsäurebakterien (nicht jedoch der Milchsäure!) nämlich den Garaus. Deshalb beim Genuss von fermentierten Lebensmitteln darauf achten, dass sie nicht wärmebehandelt, sondern noch roh sind. Weshalb sie nur im Kühlregal zu finden sind.

FAZIT: Fermentiertes regelmäßig zu essen lohnt sich – allerdings nicht nach dem Motto „viel hilft viel“. Denn zu viel Säurehaltiges greift auf Dauer den Zahnschmelz an. Außerdem enthält Fermentiertes ordentlich Salz. So liefert eine Portion Sauerkraut schon einen Großteil der von der DGE empfohlenen Tagesdosis, die bei höchstens sechs Gramm liegt. Deshalb Fermentiertes am besten in kleinen, feinen Mengen über den Tag verteilt konsumieren. Vielleicht hilft beim rechten Maß auch der Blick in die Ferne. In Korea wird das würzige Kimchi täglich gegessen, aber es kommt nur als eine von mehreren kleinen Beilagen auf den Teller.
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